Sonntag, 15. Mai 2016

Abschlussbericht: In den Slums von Nairobi


"Fluch oder Segen" lautete die Überschrift damals für den zusammenfassenden Erfahrungsbericht nach dem Einsatz auf der Insel Mindoro auf den Philippinen (https://www.facebook.com/ozgur.dogan.31542841/posts/10153648322385173). Grundsätzlich waren es dort Menschen, die sehr wenig hatten und trotzdem irgendwie die Welt besaßen. Sie waren in der Natur und es fehlte ihnen im Grunde doch an nichts.

In Nairobi im Slum konnte ich die Armut einer ganz anderen Dimension erleben. Die Armut in der Stadt. Viele mittellose Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht, Arm und Reich eng beieinander. Man weiß, dass man arm dran ist, und dass es anderen besser geht.

In Deutschland ist mal eben schnell gesagt, dass die armen Kinder in Afrika hungern müssen, wenn man einem erklären möchte, wie gut es einem doch geht. Doch dieses Afrika ist irgendwie weit weg, und man denkt sich ja dann doch "ja, ja - in Afrika müssen sie so manches erleiden" und aus dem Sinn ist das Problem in der Ferne. Sich nun aber auf diesem Kontinent zu befinden und zu sehen, dass dieses "arm sein" real und greifbar ist, ist irgendwie ein anderes Gefühl. Plötzlich ist dieses Europa ein winzig kleiner Fleck auf der Erde irgendwo außerhalb der eigenen Realität, verglichen mit dem großen Kontinent Afrika, auf dem man sich befindet. Ich versuche mich in die Lage der Leute hier hineinzuversetzen. So wie wir pauschal sagen, dass die Kinder in Afrika hungern müssen, so können doch die Menschen hier pauschal über Europa denken, dass dort jeder reich ist. Wenn man es erst mal dorthin geschafft hat, hat man für sich und seine Kinder ein Leben lang ausgesorgt. Das ist sicherlich nicht so einfach und banal, wie sich die Leute das vorstellen. Trotzdem kann man wohl schon behaupten, dass es in Deutschland eine andere Qualität hat, Probleme zu haben oder in Schwierigkeiten zu stecken. Natürlich heißt es nicht, dass wir in Deutschland nicht klagen dürfen, nur weil es die Leute in Afrika (mal unverschämt über einen Kamm geschert) schlechter haben als wir. Jeder hat das Recht, unzufrieden zu sein, Trauer zu empfinden, seinen Unmut zu äußern. Allerdings sollten wir uns vor Augen führen, dass auf unsere Tiefs sehr zuverlässig wieder Hochs folgen. Wir haben doch grundsätzlich nie wirklich einen Anlass zu glauben, dass alles verloren ist und wir aus unserer Misere nicht mehr herauskommen. Wir haben uneingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem (stellt euch mal vor, wir wären auf Spenden angewiesen, um eine lebenswichtige Therapie bezahlen zu können), kaufen können wir im Laden um die Ecke alles, was das Herz begehrt. Jeder hat Zugang zur Bildung, kann somit alles erreichen, solange er den Willen dazu hat. Wenn man dann auch noch geschafft hat, dass ein paar auserwählte Leute einen sehr gern haben, dann gehört einem doch die Welt oder? Gehören wir dann nicht bereits zu den 10% wohlhabendsten Menschen der Erde?

Ich möchte meinen Eltern dafür danken, dass sie ihren Kindern die Möglichkeit gegeben haben, fern von Sorgen und Kummer aufzuwachsen. An einem Ort, wo es keinem Menschen schlecht gehen muss, wenn er sich für sein eigenes Schicksal selber verantwortlich fühlt und wo er im Grunde alles erreichen kann, wenn er sich dafür einsetzt. Ich denke, alle Eltern wollen, dass es den eigenen Kindern mal besser geht. Ich denke, wir selbst sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo man sich nicht mehr den Kopf zerbrechen muss, wie man seinen Kindern ein besseres Leben beschert als man selbst eins hatte, sondern wie man dafür Sorgen kann, dass die eigenen Kinder den gegeben Wohlstand zu schätzen wissen.

Vielen Dank an alle, die mich bei diesen Erlebnissen begleitet haben und mir das Gefühl gegeben haben, die Heimat wäre ganz nah. Vielen Dank für die zahlreichen Rückmeldungen. So hatte ich das Gefühl gehabt, wir konnten vieles gemeinsam erleben.

http://www.keniadocs.blogspot.com

Donnerstag, 12. Mai 2016

Letze Woche - Nairobi Mathare Valley Slum

Dieses Mädchen stellt sich wegen anhaltendem Husten vor. Es ist 7 Jahre alt, sieht aber aus wie vielleicht 4. Gewicht 13 kg (0. Perzentile, -4,95 z), Größe 98 cm (0. Perzentile, -4,76 z). Auf näheres Anfragen ergibt sich das Vollbild einer Tuberkulose: Anamnestisch Husten seit 3 Monaten, Fieber, Nachtschweiß, Tb-Kontakt (Cousin wurde vor 3 Jahren behandelt), mehrfache antibiotische Therapie ohne Besserung. In der körperlichen Undersuchung Untergewicht und Lymphknotenschwellungen. Im Labor eine Anämie mit hoher BSG, das Röntgen wüst. Wie sooft geht auch hier die Tuberkulose mit HIV einher, auch dieser Test war leider positiv.

Das hat in mir den vielleicht größten Ekelfaktor erregt. Irgendwie sei der Reißverschluss einer Tasche am Auge hängengeblieben und habe das Innere des Augenlids herausgerissen.


Wieder ein paar Kinder mit Kwashiorkor 

Mein diesjähriges Makeover
Nach fast 6 Wochen ohne Rasur hat es dann doch angefangen zu jucken. Eigentlich sollten die entstandenen Gesichtsfrisuren nur ein Gag sein. Dann bin ich doch am Schnurrbart hängen geblieben... 🙈👨🏻

Arbeiten mit Schnurrbart an den letzten 2 Tagen

Kwa heri Edna! Asante sana for the amazing time!

Asante Jared, the most effective guy of Baraka!

Asante sana Stevo, Joshua and Don! STRONG! ADD! Light weight! Kifua!!!

In der letzten Woche möchte ich euch gern noch an ein paar Videos der vergangenen Wochen teilhaben lassen. Erfahrungsgemäß werden die Videos auf der mobilen Version auf dem Handy nicht angezeigt. Daher müsstet ihr euch das eventuell am PC anschauen.

Der teilweise erschwerliche Weg mit dem Auto durch den Slum nach starken Regenfällen.

Ein paar fröhliche Kinder im Untersuchungsraum.

Ein paar Späßchen der Wasungu mit den Kindern.


Beim Training nach der Arbeit in Stevo's Gym.

Und noch ein paar fröhliche Kinder außerhalb des Untersuchungsraums.

Sonntag, 8. Mai 2016

Fünftes Wochenende: Nairobi & Ngong Hills

Das Wochenende wollten wir in Nairobi und Umgebung bleiben. Samstag tagsüber waren wir in Nairobi City. Die Stadt ist tatsächlich nicht sehr schön oder ich habe sie nicht wirklich begriffen. Es ist laut, voller Abgase, so gut wie keine Sehenswürdigkeiten. Zum Zeigen gibt es irgendwie nichts. Am Abend waren wir feiern, was wieder sehr viel Spaß gemacht hat. Wie beim letzten Mal einiges an R'n'B aus den 90ern und viel lokale Musik.

Aufm Weg von unserem Haus zur Matatu (Bus) Haltestelle

In einem der Hotels in der Stadt Rast gemacht. Das Sarova Stanley ist das älteste Hotel der Stadt und berühmt für den kolonialistischen Stil.

Am Sonntag waren wir dann Wandern in den Ngong Hills etwa eine Stunde entfernt. Insgesamt ein entspanntes und unspektakuläres Wochenende.

Donnerstag, 5. Mai 2016

Fünfte Woche - Nairobi Mathare Valley Slum

Ein sehr tragisches Ereignis ist hier am Wochenende geschehen. Aufgrund der starken Regenfälle ist ein 6-stöckiges Haus eingestürzt. Es gab viele Tote (mein letzter Stand über 40) und zahlreiche Verletzte. Über 70 Personen wurden noch nicht geborgen. Unglücklicherweise geschah das Ereignis vor den Feiertagen, so dass die Baraka 3 Tage geschlossen war und wir davon auch nichts mitbekommen hatten.
http://m.euronews.com/de/331451/

Dieses 6 Wochen alte Kind habe bei Geburt 1500 g gewogen. Aktuell wiegt es 1200 g (20% weniger). Ganz schwach japsender Säugling, niedrige Herzfrequenz (bei 60/min), Schnappatmung. Die Mutter stellt es aktuell vor, weil es heute irgendwie schwach erscheint.

Noch ein 6 Wochen altes Kind. Geburtsgewicht 2500 g, heute immer noch 2500 g.

Fazialisparese mit typischem Bell-Phänomen (linke Seite des Gesichts ist gelähmt; beim Versuch, die Augen zu schließen, bleibt das linke teils offen mit nach oben gerolltem Auge.)

Rachitis (Vitamin-D-Mangel) mit auffälligem Kopf (Kraniotabes, Quadratschädel), Thorax (Harrison-Furche, Rosenkranz), Abdomen (Froschbauch) und aufgetriebenen Handgelenken.

Noch eine Rachitis, die mittlerweile unter Vitamin D Therapie ist. Typischer Quadratschädel.

Tinea

Skabies

Keine Ahnung. Kam eigentlich wegen Bauchschmerzen. Ich fand die Augen sehr auffällig. Die Skleren waren ganz braun, die Iris hatte irgendwie einen trüben Rand, die Konjunktiven waren dunkelbraun. Die Augen jucken ihm. Die Augenveränderungen habe er wohl, seitdem er 3 Jahre alt war.

Später noch ein Patient mit braunen Skleren und einem Ring um die Iris herum.

Mumps mit dicken Backen

Ein Patient mit Kwashiorkor (Unterernährung mit Wassereinlagerungen an Händen, Füßen, Gesicht und Bauch aufgrund Proteinmangel). In der Diagnostik HIV pos. und Anämie (Hb 4,6 g/dl).

Hatte ich vorher auch als Kwashiorkor gedeutet. Hat allerdings eine Proteinurie, was eher für einen Eiweißverlust spricht in erster Linie als Ursache für die Ödeme. Eine Ursache konnte ich nicht finden (HIV neg., HepB neg., ASL neg, Krea/GPT normal, Sturzsenkung, niedriges Albumin). Ich habe jetzt mit einer Cortisontherapie begonnen.

Auch am Ende der Woche heftige Regenfälle


Sonntag, 1. Mai 2016

Viertes Wochenende: Lamu

Dieses Wochenende bin ich zur Entspannung nach Lamu geflogen. Da der 01.05. ein Sonntag ist, ist der Folgetag auch ein Feiertag. Quasi verlängertes Wochenende. Entführt wurde ich nicht...

Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts

Lamu ist eine Insel, die an Kenias nördlicher Küste liegt. Aufgrund der Nähe zu Somalia und zwei Entführungsfällen 2012 in der Nähe durch somalische Piraten und Banditen rät das auswärtige Amt von einer Reise ab.

Hier wirkt alles sehr idyllisch. Wirtschaftlich lebte die Insel bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vom Sklavenhandel. Heute lebt die Insel vom Fischfang, etwas Obst- und Gemüseanbau und dem Tourismus.
Lamu ist komplett islamisch geprägt dank der Araber aus Oman, die dort einst Handel trieben. Alles läuft recht gemütlich ab. Die Leute sind alle sehr freundlich. Autos gibt es hier keine. Fortbewegungsmittel sind die Boote auf dem Wasser und die Esel auf dem Land. Und Esel gibt es hier unzählige.

Wieder einmal sehe ich mich bestätigt in der Vermutung, dass es wahre Armut nur in der Stadt gibt. Die Leute hier leben in sehr einfachen Verhältnissen, aber eigentlich haben sie alles. Weit weg vom Trubel der Großstadt, kein Verkehr, kein offensichtliches Nebeneinander von arm und reich. Die Geräusche, die mich hier prägen, sind Kindergelächter, Eselslaute, laut unterhaltende Einheimische, Meeresrauschen und der Ruf zum Gebet aus den zahlreichen Moscheen.


Was mich auch sehr gefreut hat: Wenn die Leute mich fragen, woher ich komme, und ich antworte, aus der Türkei, freuen sie sich riesig und bringen die Türken gleich mit humanitärer Hilfe in Verbindung. Viele türkische Ärzte kommen wohl hierher um unentgeltlich zu helfen. Ein schönes Gefühl, aufgrund der Herkunft geschätzt zu werden...